Donnerstag, 11. Oktober 2012

Südhessen Morgen zu Besuch im Elternintegartionskurs

Viele Muttersprachen, ein Ziel
Von unserem Redaktionsmitglied Simone Sohl (Südhessen Morgen)

 

       

ZUWANDERUNG: Beim ersten Elternintegrationskurs in Bürstadt lernen junge Mütter neben Deutsch auch Wissenswertes über das Bildungssystem

BÜRSTADT. Es beginnt schon im Supermarkt. "Wenn ich einkaufe, habe ich manchmal Fragen", erzählt Esma Arslan. Die 22-Jährige stockt, bevor sie den nächsten Satz formuliert. "Aber dann weiß ich nicht: Wie soll ich es sagen?" Das will sie jetzt ändern. Und die junge Türkin mit dem pinken Kopftuch und den sanften Augen hat noch größere Ziele: Sie will nicht nur "langweilig zu Hause sitzen", sagt sie. "Ich will arbeiten." Darum nimmt sie am Elternintegrationskurs teil, der seit Anfang Juni im Pfarramt St. Peter stattfindet.

Es ist der erste Kurs dieser Art in Bürstadt - und er wird dringend benötigt. 13 Frauen aus der Umgebung lernen hier neben der deutschen Sprache auch die Eigenheiten des deutschen Bildungssystems. "Sie erfahren zum Beispiel, was ein Elternbrief ist", sagt Larysa Kay-Kulakowski vom Viernheimer Verein Lernmobil, das den Kurs organisiert. "So können sie ihre Kinder in der Schule besser unterstützen."  

Heute ist der Kursraum voll mit großem und kleinem Leben: In der letzten Stunde vor der Sommerpause sind alle Kinder mit dabei. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raums stapeln sich Leckereien: Türkische Teigtaschen und Börek liegen neben Hefebrot nach einem Rezept aus Eritrea und einer Schüssel mit einem chinesischen Reisgericht. Auf dem Eiersalat steht "Ja oder nein", gelegt aus Gewürzgurken. "So heißt die Lieblings-Verständnisübung der Frauen", erklärt Alla Wissmeier, die den Kurs leitet. Die Teilnehmerinnen haben sich hübsch gemacht: In Pink, Rot, Türkis und Lila strahlen ihre Kleider. Sie wollen ein bisschen feiern. Weil sie endlich Deutschunterricht bekommen - und weil sie entdeckt haben, dass es ganz in ihrer Nähe noch andere gibt, denen es genauso geht wie ihnen.

Was den Kurs für die Frauen so attraktiv macht, ist auch die Kinderbetreuung, die das Lernmobil anbietet. "Das ermöglicht manchen Frauen erst die Teilnahme", sagt Kay-Kulakowski. Einige warten schon seit Jahren auf ein solches Angebot. Und auch für die Kinder hat die Betreuung Vorteile: Ihre Sprachkenntnisse werden hier verbessert. "Wenn sie eine Frage stellen und ich verstehe, was sie wollen, dann wiederhole ich das auf Deutsch", sagt die Kinderbetreuerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Da stellt man dann schnell Fortschritte fest. Kinder lernen schneller als Erwachsene." Das Lernmobil steht jedoch vor einem Problem: "Wir suchen noch eine Betreuerin. Die Stelle ist nur übergangsweise besetzt", sagt Kay-Kulakowski.

"Mein Kind", nicht "meine"

Die Teilnehmerin mit der längsten Deutschland-Erfahrung ist Ines Ottermann. 1994 kam die energiegeladene Frau aus Kuba nach Bürstadt, und die vier Kinder, die sie seitdem bekommen hat, haben sie immer auf Trab gehalten. Für einen Kurs hätte sie in eine andere Stadt fahren müssen, "und dafür hatte ich keine Zeit". Sie kann sich zwar gut auf Deutsch verständigen, aber an der Grammatik hapert es noch. Doch schon in den ersten Wochen hat sie einiges gelernt - zum Beispiel, dass es "mein Kind" heißt und nicht "meine".

"Klar, die Frauen sind auf unterschiedlichen Niveaus", sagt Alla Wissmeier. Ein Problem sei das aber nicht. "Sie sind so motiviert, sie verbessern sich gegenseitig - es macht Spaß, das zu erleben", sagt sie. Bei "erleben" rollt sie das R - Wissmeier kommt aus der Ukraine. "Bei uns sind viele Nicht-Muttersprachler als Lehrer eingestellt", sagt Kay-Kulakowski. "Das ist kein Nachteil: Sie wissen, worauf es ankommt und was am schwierigsten ist." Dann werden die beiden Frauen unterbrochen. "Wir haben ein Geschenk für euch", rufen die Schülerinnen, überreichen Wissmeier und Kay-Kulakowski Blumensträuße und knipsen Fotos.

Überhaupt: Fotos sind heute ein großes Thema. Die Frauen stellen sich auf, zu zweit, zu dritt, zu acht. Delphine Mugeni ist besonders fotografierwütig: Die zierliche junge Frau aus Uganda scheint von jeder möglichen Personenkonstellation ein Bild knipsen zu wollen. "Die Frauen freuen sich über ihre Gemeinschaft, darüber, dass sich alle so gut verstehen", sagt Kay-Kulakowski. Wie um die Worte zu unterstreichen, schnappt sich Ines Ottermann Melike, die vierjährige Tochter von Asma Arslan, und tanzt mit ihr zu den Salsa-Klängen aus dem CD-Spieler.

© Südhessen Morgen, Mittwoch, 18.07.2012

 

Runder Tisch diskutiert über neues Kursangebot in Bürstadt

Mittwoch, 27. Juni 2012 11:18 Uhr
URL: http://www.buerstaedter-zeitung.de/region/buerstadt/12132295.htm

 

 Kirche - vertreten durch Pfarrer Peter Kern (Foto oben links), Politik - vertreten durch Bürgermeister Alfons Haag (oben Mitte) und Erster Kreisbeigeordneter Thomas Metz (oben rechts) - , Ausländer- und Migrationsamt sowie die Lernmobil-Initiatoren an einem Tisch: Der Elternintegrationskurs im Pfarramt St. Peter wird begrüßt. Fotos: AfP Asel

 27.06.2012 - BÜRSTADT

Von Björn Thomsen

LERNMOBIL Seit 4. Juni finden in Bürstadt Elternintegrationskurse statt / 17 Teilnehmer haben sich schon eingeschrieben

„Rund jeder zehnte Einwohner im Kreis Bergstraße hat nicht die deutsche Staatsbürgerschaft“, rezitierte Thomas Metz, Erster Kreisbeigeordneter, eine statistische Kennziffer, die kaum deutlicher die Integration von Migranten betonen könnte. Doch man kann dieses Zahlenspiel überbieten: Allein in Bürstadt leben Menschen aus etwa 70 verschiedenen Nationen - darunter zahlreiche junge Eltern. Pädagogische und soziale Bildungsarbeit hat sich der Verein Lernmobil auf die Fahnen geschrieben, der nun auch Bürstädter Migranten Hilfe in der neuen Heimat leistet.

„Sie waren in einer Not, Sie haben einen Raum gesucht. Da gab es keinen Grund, Ihnen ‚nein‘ zu sagen“, erläuterte Pfarrer Peter Kern den Erstkontakt mit dem Lernmobil. Die Pfarrgemeinde hielt Wort. Seit 4. Juni bietet der gemeinnützige Verein Elternintegrationskurse in den Räumlichkeiten des Pfarramts St. Peter an. Mütter und Väter bekommen hier nun Sprachkenntnisse und eine kulturelle Orientierung vermittelt. Ist der Nachwuchs zu jung für die Schule oder den Kindergarten, so darf während des Unterrichts ein Betreuungsangebot im Nachbarzimmer wahrgenommen werden. 17 Teilnehmer zählt mittlerweile der Kurs.

„Das Thema wird uns solange begleiten, solange wir uns verbessern wollen“, lobte Bürgermeister Alfons Haag das Projekt und dessen Initiatoren: „Der Verein ist nicht privat-wirtschaftlich“, wollte Gerd Baltes, einer der pädagogischen Leiter des Lernmobils, gleich zu Beginn einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag, 26. Juni, feststellen. „Schwerpunkt waren erst mal die Kinder“, setzte er seine Ausführungen fort und erinnerte an vier Ganztagsschulen. „Der Erwachsenen- hat sich am Kinder-Bereich orientiert“, benannte seine Kollegin Brigitta Eckert den nachfolgenden Schritt. In der Praxis sieht das dann so aus: „Integrationskurse bilden den Schwerpunkt“, erläuterte sie. Aber auch eine aktive Bürgerbeteiligung sei gewünscht. „Migranten müssen sich selbst beteiligen, um ihre Lage zu verbessern“, ebenso müssten „Eltern qualifiziert werden in ihrer Kompetenz als Eltern.“

„Wie rufe ich in der Schule an und entschuldige mein Kind? Was ist eine weiterführende Schule?“ Diese und ähnliche Fragen bereiteten Ausländern häufig Kopfzerbrechen, betonte Larysa Kay-Kulakowski, Abteilungsleiterin für die Erwachsenenbildung. In den Kursen erfahren die Teilnehmer deshalb, wie Kindergärten und Schulen funktionieren. „Der Elternintegrationskurs umfasst 900 Unterrichtsstunden“, klärte Monika Vogler, Regionalkoordinatorin Integration des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, über das Lernpensum auf. Neun Module würden die Eltern mehr und mehr zum Ziel geleiten, „dass sie sich im Alltag ausdrücken können“. Während das Lernmobil auf Bundes-, Länder- und Kreisebene sowie auch von kommunaler Seite unterstützt wird, müssen die Teilnehmer lediglich einen Betrag von 1,20 Euro pro Unterrichtsstunde entrichten. Unter bestimmten Voraussetzungen - etwa bei Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe - könne beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Befreiung von diesen Kosten beantragt werden.

„Integrationsarbeit gehört nicht an den Rand, sondern in die Mitte der Gesellschaft“, bekundete Metz sein Engagement für das Lernmobil. „Wir haben das Instrument der Integrationskurse seit 2005 auf der Agenda“, erzählte er weiter. Dass nun auch in Bürstadt solch ein Kurs angeboten werde, ist damit die schlüssige Konsequenz. Erlernt wird aber nicht nur die Sprache oder das eigenverantwortliche Verhalten als Elternteil - die Integrationskurse haben auch formal eine wichtige Funktion. Einbürgerungsfristen werden verkürzt. Das Ausländeramt erkenne diese Zertifizierungen an. Klar, zuvor müssen die Teilnehmer einen Test absolvieren.

Montags, dienstags, donnerstags und freitags findet zukünftig der Integrationskurs für Eltern im Pfarramt St. Peter statt. Um einen Kurs zu absolvieren, müsse eine Sprachpüfung „Deutsch-Test für Zuwanderer“ (DTZ) abgelegt werden. „Der Anlauf war für uns in Bürstadt nicht leicht“, erinnerte Larysa Kay-Kulakowski, doch jetzt habe man es endlich geschafft. Besonders über Kindergärten und Schulen habe man Kontakt zu Migranten und Unterstützern gesucht.

 

 

 

Erster Elternintegrationskurs in Bürstadt

BILDUNG: Lernmobil Viernheim bietet den ersten Elternintegrationskurs in Bürstadt an

Wegweiser im Bildungssystem

Von unserem Redaktionsmitglied Simone Sohl

Um bei den Hausaufgaben zu helfen, müssen Eltern Deutsch beherrschen.

© dpa

BÜRSTADT. Wie gehe ich mit meinem Kind zum Arzt, wenn ich unsicher bin in der deutschen Sprache? Wie informiere ich die Schule darüber, dass es krank ist? Und wie sorge ich überhaupt dafür, dass mein Kind in die Schule geht? Eltern, die neu sind in Deutschland, stehen vor vielen Fragen. In Bürstadt gibt's seit Anfang Juni ein Angebot, das Antworten geben will: Das Lernmobil Viernheim bietet Elternintegrationskurse an - eine Mischung aus Sprachkurs und Wegweiser im deutschen Bildungssystem. Lernmobil-Mitarbeiter, Vertreter des Kreises Bergstraße und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stellten das Projekt gestern im Rathaus vor.

Der Elternintegrationskurs setzt sich aus 900 Unterrichtsstunden und einem 45-stündigen Orientierungskurs zusammen. An vier Tagen pro Woche lernen die Teilnehmer im katholischen Pfarramt St. Peter jeweils vier Stunden. "Wir wollen Migranten in ihrer Kompetenz als Eltern bestärken", verdeutlicht Dr. Brigitta Eckert, die zusammen mit Dr. Gerd Baltes das Lernmobil leitet. Migranten mit Kindern sollen hier das nötige Rüstzeug erhalten, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu gestalten. "Das fängt bei ganz banalen Dingen an wie bei der Frage, wie ich meinem Kind den Schulranzen packe", erläutert Larysa Kay-Kulakowski, beim Lernmobil für Erwachsenenbildung zuständig. Später geht es dann um die Chancen, die unser Schulsystem bietet. "Die Eltern erfahren, was eine weiterführende Schule ist und welche Arten es gibt."

17 Migranten nehmen zurzeit an dem Elternintegrationskurs teil - allesamt Frauen. "Ab und zu haben wir aber auch mal einen Quotenmann in solchen Kursen", sagt Kay-Kulakowski und lacht. Der Kurs findet vormittags statt - zu Zeiten, in denen der ältere Teilnehmer-Nachwuchs in den Kindergarten oder die Schule geht. Kinder unter drei Jahren werden in den Kurszeiten kostenlos betreut. "Das ermöglicht vielen Frauen erst die Teilnahme", sagt Eckert.

Am Ende des Kurses stehen eine Sprachprüfung und ein Orientierungskurs-Test. Wer beides besteht, bekommt ein Zertifikat, das sowohl bei der Niederlassungserlaubnis als auch bei der Jobsuche hilfreich ist.

Der erste Kreisbeigeordnete Thomas Metz (CDU) freut sich darüber, dass nun auch in Bürstadt Integrationskurse angeboten werden, die es im Kreis schon seit 2005 gibt. "Jeder zehnte Einwohner im Kreis hat nicht die deutsche Staatsangehörigkeit", sagt er. "Die Frage, wie wir miteinander leben wollen, gehört darum in die Mitte der Gesellschaft."

 

© Südhessen Morgen, Mittwoch, 27.06.2012

http://www.morgenweb.de/region/sudhessen-morgen/burstadt/wegweiser-im-bildungssystem-1.626267