Viele Muttersprachen, ein Ziel
Von unserem Redaktionsmitglied Simone Sohl (Südhessen Morgen)
ZUWANDERUNG: Beim ersten Elternintegrationskurs in Bürstadt lernen junge Mütter neben Deutsch auch Wissenswertes über das Bildungssystem
BÜRSTADT. Es beginnt schon im Supermarkt. "Wenn ich einkaufe, habe ich manchmal Fragen", erzählt Esma Arslan. Die 22-Jährige stockt, bevor sie den nächsten Satz formuliert. "Aber dann weiß ich nicht: Wie soll ich es sagen?" Das will sie jetzt ändern. Und die junge Türkin mit dem pinken Kopftuch und den sanften Augen hat noch größere Ziele: Sie will nicht nur "langweilig zu Hause sitzen", sagt sie. "Ich will arbeiten." Darum nimmt sie am Elternintegrationskurs teil, der seit Anfang Juni im Pfarramt St. Peter stattfindet.
Es ist der erste Kurs dieser Art in Bürstadt - und er wird dringend benötigt. 13 Frauen aus der Umgebung lernen hier neben der deutschen Sprache auch die Eigenheiten des deutschen Bildungssystems. "Sie erfahren zum Beispiel, was ein Elternbrief ist", sagt Larysa Kay-Kulakowski vom Viernheimer Verein Lernmobil, das den Kurs organisiert. "So können sie ihre Kinder in der Schule besser unterstützen."
Heute ist der Kursraum voll mit großem und kleinem Leben: In der letzten Stunde vor der Sommerpause sind alle Kinder mit dabei. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raums stapeln sich Leckereien: Türkische Teigtaschen und Börek liegen neben Hefebrot nach einem Rezept aus Eritrea und einer Schüssel mit einem chinesischen Reisgericht. Auf dem Eiersalat steht "Ja oder nein", gelegt aus Gewürzgurken. "So heißt die Lieblings-Verständnisübung der Frauen", erklärt Alla Wissmeier, die den Kurs leitet. Die Teilnehmerinnen haben sich hübsch gemacht: In Pink, Rot, Türkis und Lila strahlen ihre Kleider. Sie wollen ein bisschen feiern. Weil sie endlich Deutschunterricht bekommen - und weil sie entdeckt haben, dass es ganz in ihrer Nähe noch andere gibt, denen es genauso geht wie ihnen.
Was den Kurs für die Frauen so attraktiv macht, ist auch die Kinderbetreuung, die das Lernmobil anbietet. "Das ermöglicht manchen Frauen erst die Teilnahme", sagt Kay-Kulakowski. Einige warten schon seit Jahren auf ein solches Angebot. Und auch für die Kinder hat die Betreuung Vorteile: Ihre Sprachkenntnisse werden hier verbessert. "Wenn sie eine Frage stellen und ich verstehe, was sie wollen, dann wiederhole ich das auf Deutsch", sagt die Kinderbetreuerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Da stellt man dann schnell Fortschritte fest. Kinder lernen schneller als Erwachsene." Das Lernmobil steht jedoch vor einem Problem: "Wir suchen noch eine Betreuerin. Die Stelle ist nur übergangsweise besetzt", sagt Kay-Kulakowski.
"Mein Kind", nicht "meine"
Die Teilnehmerin mit der längsten Deutschland-Erfahrung ist Ines Ottermann. 1994 kam die energiegeladene Frau aus Kuba nach Bürstadt, und die vier Kinder, die sie seitdem bekommen hat, haben sie immer auf Trab gehalten. Für einen Kurs hätte sie in eine andere Stadt fahren müssen, "und dafür hatte ich keine Zeit". Sie kann sich zwar gut auf Deutsch verständigen, aber an der Grammatik hapert es noch. Doch schon in den ersten Wochen hat sie einiges gelernt - zum Beispiel, dass es "mein Kind" heißt und nicht "meine".
"Klar, die Frauen sind auf unterschiedlichen Niveaus", sagt Alla Wissmeier. Ein Problem sei das aber nicht. "Sie sind so motiviert, sie verbessern sich gegenseitig - es macht Spaß, das zu erleben", sagt sie. Bei "erleben" rollt sie das R - Wissmeier kommt aus der Ukraine. "Bei uns sind viele Nicht-Muttersprachler als Lehrer eingestellt", sagt Kay-Kulakowski. "Das ist kein Nachteil: Sie wissen, worauf es ankommt und was am schwierigsten ist." Dann werden die beiden Frauen unterbrochen. "Wir haben ein Geschenk für euch", rufen die Schülerinnen, überreichen Wissmeier und Kay-Kulakowski Blumensträuße und knipsen Fotos.
Überhaupt: Fotos sind heute ein großes Thema. Die Frauen stellen sich auf, zu zweit, zu dritt, zu acht. Delphine Mugeni ist besonders fotografierwütig: Die zierliche junge Frau aus Uganda scheint von jeder möglichen Personenkonstellation ein Bild knipsen zu wollen. "Die Frauen freuen sich über ihre Gemeinschaft, darüber, dass sich alle so gut verstehen", sagt Kay-Kulakowski. Wie um die Worte zu unterstreichen, schnappt sich Ines Ottermann Melike, die vierjährige Tochter von Asma Arslan, und tanzt mit ihr zu den Salsa-Klängen aus dem CD-Spieler.
© Südhessen Morgen, Mittwoch, 18.07.2012